Leseprobe NERO KAISERKIND von Niclas Ramdohr und Peter Lund
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1. Akt (Ausschnitte)
No 1 Ouvertüre
Während der Ouvertüre tritt Nero auf, tritt vor ein Rednerpult, holt ein paar Zettel aus seiner Aktenmappe, hebt an zu sprechen; Stille.
Nero:
Ich kann mich an nichts erinnern.
...Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.
Ich bin völlig überlastet... Ich kann mich nicht mehr konzentrieren-
Alles hängt immer an mir-
Felix tritt auf.
Felix: (singt leise vor sich hin, während Nero darüberspricht)
Leise, leise, leise, leise
Leise,......
Nero:
Was wollt ihr von mir? Ich- ich kann das nicht mehr leisten. Ich schaff das einfach nicht mehr.
Felix:
Leise. Leise.
Nero:
Könnt ihr mich denn nicht endlich in Ruhe lassen?
Ich will schlafen! Ich bin müde! Ich bin so müde, daß ich nicht einmal mehr schlafen kann.
Felix:
Leise, leise....
Nero:
Mein Leben wächst mir über den Kopf. Ich steh morgens auf und der Tag hängt über mir wie eine dicke schwarze Wolke. Ich guck in den Spiegel und da wo mein Kopf sein müßte, ist nur noch ein Loch.
No 2 Ein Spiegel
Felix:
Ein Spiegel ist ein eigen Ding,
man muß ihn gut studieren-
es braucht nicht viel, sein Spiegelbild
im Spiegel zu verlieren.
Nero:
Ich vergesse Dinge. Ich vergesse die banalsten Dinge.
Felix:
Ein Spiegel wird zwar freundlicher
im Alter, er wird blinder,
doch wenn du ihn zerbrechen läßt
kriegt so ein Spiegel Kinder.
Felix wirft den Spiegel auf den Boden. Dieser zerbricht.
Felix:
Und jede Scherbe ist sodann
ein kleiner Spiegel mehr
an dem man sich jetzt schneiden kann
drum hüte dich vor Spiegeln sehr.
Nero bückt sich nach einer Scherbe.
Felix:
Paß auf!
Nero hat sich geschnitten.
Nero:
Aua! Warum hast du ihn kaputtgemacht?
Felix:
Wieso ich? Das warst du!
Nero:
Ich?
Felix:
Du machst doch alles kaputt, was du anfaßt.
Nero:
Wirklich?
Felix:
Von Anfang an.
Nero:
Ich kann mich an nichts erinnern-
Felix:
Natürlich erinnerst du dich. Caligula ist gerade gestorben.
Nero:
Den hab ich aber nicht umgebracht-
Felix:
Nein, den nicht-
Musikeinsatz
Die Beerdigung war ein Skandal. Claudius hatte man sicherheitshalber gar nicht erst eingeladen - wer will schon einen stotternden und hinkenden Kaiser- seine Frau Messalina kannte halb Rom noch vom linken Tiberufer und noch jemand war zur Beerdigung erschienen- obwohl Caligula seiner Schwester vor drei Jahren bei Todesstrafe verboten hatte, jemals wieder römischen Boden zu betreten- Aber der Kaiser war tot- und Agrippina wieder in Rom .....
No 3 Der Kaiser ist tot
Eine Beerdigungsgesellschaft. Messalina und Agrippina.
Alle im Wechsel:
Der Kaiser ist tot
es lebe der Kaiser
Warum starb er denn?
Sei'n sie doch etwas leiser-
das Kind kann uns hören
und wenn? So ein Kaiser
verstirbt manches mal
ab und an etwas plötzlich
doch Götter sei Dank ist
er nicht unersetzlich -
Im Gegen- im Teil-
ein Hoch und ein Heil-
der Kaiser ist tot
und es lebe der Kaiser.
Wie kam er zu Tode?
Er kam aus der Mode.
Man hört es auch lästern
es war seine Schwester
die er jüngst verbannte-
oder war es die Tante?
der Onkel war's nicht,
das wär auch schlecht möglich
der starb letztes Jahr
nicht von selbst, aber tödlich-
Doch egal
wer es war
wie's geschah
wen 's erwischt-
über Nacht
sind die Karten
der Macht
neu gemischt
und am Sarg gibt es 'ne schöne
traurige Familienszene-
freudig treffen sich die Erben-
Gott sei Dank, daß Menschen sterben....
No 4 Welch Schicksal,wenn man seinen Bruder verliert
Messalina: (in strenger Form, starker Diskant, jedesmal dieselbe Melodie)
Welch Schicksal, wenn man seinen Bruder verliert
Agrippina:
Ja.
Messalina:
Wir habe ihn alle geliebt.
Agrippina:
Ja.
Messalina:
Daß er dich verbannte- nun, sowas passiert-
Agrippina:
Tja-
Messalina:
Jetzt steht man am Grab und vergibt-
Agrippina:
Nein.
Messalina:
Dein herziger Sohn hat dich schrecklich vermißt-
Agrippina:
Ach?
Messalina:
Auch wenn er ja geistig leicht (macht eine Geste ) ist-
er spricht nicht-
Agrippina:
Er will nicht
Messalina:
Er ist renitent!
Agrippina:
Mit dir nicht zu sprechen ist doch sehr intelligent-(Musik Ende)
Messalina:
Caligula hat sehr recht daran getan, dich nach Capri zu verschiffen.
Er hat bloß vergessen, dich dort anzuketten.
Agrippina:
Tja-es kommt alles wieder.
Messalina:
Ich habe Claudius nicht gebeten, dich zu begnadigen.
Agrippina:
Zum Glück. Hättest du es getan, säße ich wahrscheinlich immer noch da drüben. Soviel Menschenkenntnis traue ich selbst meinem debilen Onkel zu-daß er auf dich nicht hört.
Messalina:
Du bist ja bloß neidisch, weil ich Kaiserin bin.
Agrippina:
Du bist nicht Kaiserin. Du bist die Frau des Kaisers.
Das ist ein kleiner Unterschied.
Messalina:
Dreh es wie du willst. Momentan bin ich die wichtigste Frau in Rom.
Agrippina:
Bis dein stotternder Rentnergatte sich an seiner eigenen Zunge verschluckt. Dann bist du genauso schnell wieder verschwunden wie du gekommen bist.
Messalina:
Miststück.
Agrippina:
Und weißt du, wer dann die wichtigste Frau in Rom ist?
Felix:
Die Frau des neuen Kaisers?
Agrippina:
Nein. Seine Mutter.
Messalina:
Wer soll das sein, he? Etwa dieses hirnlose kleine Monster, daß seit drei Jahren nicht Pieps und Paps gesagt hat?
Musik setzt ein
Agrippina:
Dir fehlt der Wille zur Macht, Messalina. Es kommt nicht darauf an, was man hat, sondern was man daraus macht.
(zu sich) Ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Davon war ich sechs Jahre verheiratet und drei Jahre verbannt. Meiner Meinung nach habe ich es mir lange genug gefallen lassen, daß irgendwelche Männer mir den Mund verbieten. Wobei ich nichts gegen Männer habe. Gesetzt den Fall, man findet den Richtigen. Oder erzieht ihn sich.
(zu Nero) Und du willst nicht sprechen?
Nero: (nach einer Pause) Mama.
Agrippina:
Na siehst du- geht doch. Ich glaube, aus dir wird noch ein richtiges kleines Genie.
No 5 Kleiner Mann geht schlafen
Kleiner Mann geht schlafen
träumt für Mama mit
träumt für uns zwei einen großen Traum.
Mama hat das träumen
irgendwann verlernt
nimm mich mit-
Mama stört dich kaum.
heute kannst du schlafen
ohne schwarzen Mann
Mama sitzt bei dir die ganze Nacht-
Und kommst du in´s träumen
denke immer dran
Mama weiß, was man aus träumen macht.
der erste Traum in einem neuen Zimmer, der wird wahr.
was das bedeutet für uns zwei ist dir vielleicht nicht klar-
Darum träum für dich und mich
denn ich bin immer für dich da
weißt du jetzt ,was du träumen mußt?
Kleiner Mann geht schlafen
träumt von Ruhm und Macht
träumt für Mama einen großen Traum.
und träumst du von Angst und Sorgen-
denk dir etwas aus für morgen...
ich will einen schönen Traum-
Gute Nacht......
2. Bild
Nero:
Mama hat gesagt, ich bin was ganz besonderes.
Felix:
Bist du nicht!
Nero:
Bin ich doch. Erst werde ich groß und dann werd ich Kaiser und dann werd ich Gott.
Felix:
Es gibt keine Götter.
Nero:
Mama, Felix sagt, es gibt keine Götter.
Agrippina:
Götter gibt's nur für dumme Menschen.
Kluge Menschen glauben an sich selber.
Nero:
Aber Kaiser, die gibt's?
Agrippina:
Ja- auch wenn sie manchmal nicht so aussehen.
Nero:
Dann werd'ich eben Kaiser.
Felix:
Du weißt ja gar nicht, was ein Kaiser macht.
Nero:
Rumliegen und Safttrinken und mit Leuten schimpfen und ganz viel Spucke spucken beim Reden.
Agrippina:
Das macht dein Onkel Claudius. Aber ein richtiger Kaiser (Musikeinsatz)
ist ein ganz wichtiger Mann. Und wenn ein Kaiser stirbt-
Nero:
Stirbt ein Kaiser?
Agrippina:
Natürlich.
Nero:
Dann will ich keiner sein.
Agrippina:
Aber das ist doch gerade das Schöne, mein Schatz: Wenn ein Kaiser stirbt, wird er unsterblich....
Nero:
Unsterblich..?
Agrippina:
Unsterblich!
Felix:
Unsterblich.....
Alle:
Unsterblich-
No 6 Rezitativ Messalina
Messalina:
Sie plant etwas.
Was, weiß ich nicht.
Doch irgendwas-
das spüre ich....
Das ganze ist doch
lächerlich-
denn zwischen Thron
und ihrem Sohn
sind vier Personen erberechtigt
und trotzdem ist
sie mir verdächtig-
-sie plant etwas.....
was, weiß ich nicht...
jedoch, man hört da ein Gerücht...
Alle:
Seneca, Seneca, Seneca, Seneca-
Felix:
Vor acht Jahren hatte Caligula den intelligentesten Mann Roms nach Spanien verbannt. Jahre der Einsamkeit, abgeschnitten vom geistigen Leben der Hauptstadt, die der große Philosoph nur dank seiner sprichwörtlich stoischen Ruhe ertragen hatte. Aber Agrippinas Einfluß beim Kaiser wuchs- und so wurde Seneca begnadigt und war seit kurzem wieder in Rom.
Agrippina:
Und jetzt sollst du den Mann kennenlernen, der dich zum Kaiser machen wird.
Seneca tritt auf
Agrippina:
Mein lieber Seneca!
Seneca:
Meine liebe Agrippina! Wie lange ist es her?
Agrippina:
Zu lange.
Seneca:
Und du bist keinen Tag älter geworden.
Agrippina:
Das ist das Problem von euch Philosophen- ihr negiert die Tatsachen.
Komm rein. zu Nero Sag Onkel Seneca guten Tag.
Seneca:
Negierst du sie nicht?
Agrippina:
Ich schaffe sie. zu Nero Welches ist das schöne Händchen?
Wie war es in Spanien?
Seneca:
Heiß.
Agrippina:
Fett bist du geworden.
Seneca:
Zu wenig Bewegung.
Agrippina:
Und zuviel Rotwein. Umso froher wirst du dich schätzen, an meiner Seite deinen Lebensabend einer neuen Aufgabe widmen zu dürfen.
Seneca:
Hast du es immer noch nicht aufgegeben-
Agrippina:
Was?
Seneca:
Du bist zu ehrgeizig. Warst du schon immer.
Agrippina:
Und du bist zu träge. Gibt es eigentlich irgendetwas im Leben, was du wirklich willst?
Seneca:
Nein. Ich bin Philosoph.
Agrippina:
Mich hast du einmal gewollt.
Seneca:
Stimmt. Und was willst du?
Agrippina:
Mein Ruhe. Nicht mehr darüber nachdenken müssen, was aus mir wird. Und aus meinem Sohn. Nie mehr von irgendeinem Kaiser nach Capri verbannt werden. Ich will einmal im Leben das Gefühl haben, daß ich keine Angst mehr zu haben brauche.
Seneca:
Das wäre ein schönes Gefühl, nicht wahr?
No 7 Machttango
Agrippina:
Das Gefühl der Macht
hat mich manches Mal schon schwach gemacht.
Tags hält es mich wach
und verfolgt mich (bis) tief in die Nacht:
Das Gefühl, daß man meinen Willen wörtlich nimmt-
Das Gefühl der-
Seneca:
Macht
ist für Philosophen nicht gemacht!
die Philosophie
erliegt nie dem weltlichen Reiz!
Anderseits;
So ein bißchen Macht, das macht doch nichts-
Agrippina:
Nicht wahr?
Warum soll'n wir verzichten,
gibt die Geschichte
uns die zweite Chance?
Seneca:
Mit dem Rosenzüchten
werd ich noch warten-
Beide:
Jetzt geh'n wir auf's Ganze!
Und werden beweisen
daß alte Eisen
noch etwas Leisten;
Mit ein bißchen Macht
machen wir aus Hundescheisse Gold.
wäre ja gelacht,
ware uns das Glück nicht mehr hold-
wo das Glück doch fast immer mit dem Starken ist-
Für ein bißchen Macht
geh'n wir gern über Leichen-
das muß man, will man,
was man will, auch erreichen-
Agrippina:
DIE MACHT!
das Gefühl, daß man mich wichtig nimmt!
das ich jemand bin
den man besser niemals verstimmt!
wer das macht,
wir von mir ganz einfach kaltgemacht-
dem sag ich
ganz leis und sacht;
Gute Nacht!
Agrippina und Seneca schicken sich an, ins Bett zu gehen. Nero taucht in der Tür auf.
Nero:
Mama!
Black
Felix:
Die Verwandtschaftsverhältnisse am römischen Hof gestalten sich etwas kompliziert. Kaum einer der großen römischen Kaiser ist je Vater geworden- und in der Tat gab es noch genau einen männlichen Nachfolger, der echt cäsarisches Blut in den Adern hatte. Das war leider nicht Nero, sondern Britannicus, der Sohn Messalinas. Kein Wunder, daß Agrippina auf beide nicht gut zu sprechen war. Und bald schon machte ein unschönes Gerücht in Rom die Runde;
3. Bild
Agrippina:
O.k. Jungs! One-two-three...
Männer:
Die Kaiserin nimmt jeden ran
wenn sie ihn nur erwischen kann
und das heißt auf lateinisch dann
nymphoman!
Messalina: (mit zwei Puppen auf dem Arm- ein Junge und ein Mädchen)
Du dreckige Schlampe. Glaubst du, ich wüßte nicht, wer mich beim Alten verpfiffen hat? Aber das nützt dir nichts. Gar nichts!
Du kannst mich zwanzig Mal wegschicken lassen, daß ändert nichts daran, daß mein Sohn Kaiser wird. (viel zu pathetisch, Melodie wie zuvor)
In direkter Linie von Cäsar er stammt
Ein Enkel Augustus, ein Römer, ein Mann,
ein würdiger Nachfahre römischer Kraft,
von römischem Adel, von römischem-
Agrippina hat ihr die männliche Puppe weggenommen und ihr den Kopf abgedreht. Messalina verstummt. Musik Ende. Agrippina nimmt die zweite Puppe und betrachtet sie nachdenklich. Zu Nero-
Agrippina:
Möchtest du später mal heiraten?
Nero:
Muß ich?
Agrippina: (wirft ihm die Puppe zu)
Spiel schön.
Die Männer führen die schreiende Messalina ab