Leseprobe MESSESCHLAGER GISELA
Textfassung von Peter Lund ©
1.Szene (Ausschnitt)
Die leere Fabrikhalle des VEB Berliner Schick 1998
Frau Claus mit dem Hausmeister. Sieht sich um.
Frau Claus:
Es ist so still hier.
Hausmeister:
Nu-
Frau Claus:
Ich würde gerne fünf Minuten- ich meine- allein. Geht das?
Hausmeister:
Hm-
Frau Claus:
Ich steck schon nichts ein.
Hausmeister:
Wär auch egal. Nächste Woche schieben sie eh alles zu Klump.
Frau Claus:
Ich hab´s gelesen. Riecht wie früher.
Hausmeister:
Riecht nach Osten. Aber nicht mehr lange.
Frau Claus:lacht
Wenn uns jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, daß wir den Geruch mal vermissen würden-
Hausmeister:macht ein abwehrende Geste
Ich bin aus Wuppertal.
Frau Claus:
Verzeihung. Ich hab hier mal gearbeitet. nach einer Pause
Das war mein Tisch.
Sie geht zu einem Tisch, daneben eine Schneiderpuppe.
Frau Claus: etwas hilflos
Kennen Sie das Modell Gisela? Das Kleid für jede Frau. Das ist von mir.
Hausmeister:
Fünf Minuten. Sonst krieg ich Ärger.
Der Hausmeister geht ab. Gisela Claus allein. Sie beugt sich über den Tisch, fährt mit dem Finger drüber, schüttelt den Kopf. Nimmt einen Maßstock und schlägt unvermittelt auf die Schneiderpuppe ein. Öffnet die Schublade, muß lachen und holt eine alte Modezeitschrift heraus.
Frau Claus: sehr zu sich selbst
So eine Scheiße.
Die junge Gisela kommt auf die Bühne gerannt, in Hut und Mantel, sehr atemlos.
Gisela:
Bin ich zu spät?
Frau Claus:
--?
Gisela:rattert los
Ich hab gedacht, von Pankow schaff ich´s in vierzig Minuten aber die Straßenbahn fährt mit vor der Nase weg und die nächste kommt über ´ne Viertelstunde nicht und jetzt bin ich vielleicht zu spät und das am ersten Tag und es kommt bestimmt nicht wieder vor, ehrlich!
Frau Claus: versteht kein Wort
Das ist schön.
Gisela:
Ich bin ein sehr pünktlicher Mensch. Pünktlich und zuverlässig, das haben sie mir auf der Hochschule gesagt. Steht sogar in meinem Zeugnis. Möchten sie es sehen?
Frau Claus:
Ich glaube nicht.
Gisela:
Ist der Chef schon da?
Frau Claus:
Gibt`s hier noch einen Chef?
Gisela lacht
Psst! Wenn er uns hört! Uns sie sind sicher, daß ich nicht zu spät komme?
Frau Claus:
Verzeihung, aber ich weiß nicht, weswegen sie hier sind.
Gisela:
Na, wegen der neuen Stelle als Modegestalterin.
Frau Claus:
Oh.
Gisela:
Ich möchte beim Aufbau des Sozialismus tatkräftig mitwirken.
Frau Claus:
Ich glaube, dafür kommen sie wirklich etwas zu spät.
Gisela:
Weiß ich ja! Asche auf mein Haupt.
Der Feind in unserm neuen Land
das ist und bleibt der Bummelant!
Frau Claus:
Eh-
Gisela:
Finden Sie nicht? Sie gucken so skeptisch.
Frau Claus:
Also ehrlich gesagt, ich bin etwas überrascht, daß es noch junge Menschen gibt, die so-.. sozialistisch eingestellt sind.
Gisela:
Sie reden genauso wie meine Mutter. Wie alt sind sie?
Frau Claus:
Neunundfünzig-
Gisela:
Das ist dann wohl der Unterschied. Ich bin Einundzwanzig.
Und ich glaube an den Sozialismus.
Frau Claus:
Hab ich auch mal getan. Aber das ist mindestens zehn Jahre her.
Gisela:
Mensch, Sie klingen aber wirklich resigniert.
Frau Claus:
So klingt man eben zehn Jahre nach der Wende.
Gisela:
Weil ihr gedacht habt, nach dem Krieg geht alles von selber.
Frau Claus:
Nach welchem Krieg?
Gisela:
Nach welcher Wende?
Beide gucken sich irritiert an.
Gisela:eine neuen Anlauf nehmend:
Ich weiß ja nicht, wie ich denke, wenn ich mal so alt bin wie sie-
da bin ich halt im Nachteil-
Frau Claus:
Ich bin im Nachteil. Ich weiß es.
Gisela:
Aber gucken Sie sich doch mal um. Ich finde, in den letzten zehn Jahren ist eine Menge passiert.
Frau Claus:tut es
Das kann man so sagen. Ja.
Gisela:
Oh!
Frau Claus:
Was?
Gisela:
Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt!
Frau Claus:
Stimmt.
Beide reichen sich die Hand.
Beide:
Claus-
Beide stutzen
Gisela:
Gisela-
Frau Claus:
-Claus...
Ein schneller Musikvamp setzt ein. Kuckuck kommt auf die Bühne, Akten unter dem Arm, steuert auf Gisela zu. Frau Claus scheint er nicht zu sehen.
Kuckuck:
Kollegin Claus? Kollege Kuckuck. Freut mich, sie hier im Betrieb begrüßen zu dürfen. Sie sind zu spät.
Gisela:
Gisela.
Kuckuck:
Wie sie vielleicht wissen, ist der VEB Berliner Schick- bitte?
Gisela:
Sagen Sie doch bitte Gisela zu mir. Frau Claus werd ich vielleicht mal später.
Frau Claus:von ihrem Schreck erholt
Nicht nur vielleicht.
Kuckuck:
Wie sie wünschen. Also, Kollegin Gisela, der VEB Berliner Schick ist einer der größten Damenmodeliferanten der Republik. Kennzeichen unserer Produktion sind hochwertige Verarbeitung, hochmodisches Dessin und eine klare Linie, die vor allem der werktätigen Frau es ermöglichen soll, ihre Persönlichkeit und damit ihre Produktivität kreativ und selbstständig zu entfalten. Von den hier arbeitenden Kollegen erwarten wir Einsatz, handwerkliches Können, Einfühlungsvermögen und das kleine Quentchen Phantasie, das man nicht kaufen kann. Denn Mode ist mehr als nur ein Kleid. Mode ist Überzeugung, und Sie werden in mir einen Menschen kennenlernen, der für diese Überzeugung kämpft.
Frau Claus:
Ha!
Kuckuck: stutzt
Bitte?
Gisela:
Ich habe nichts gesagt.
Kuckuck:kurz irritiert, fährt dann fort
Entscheiden Sie selbst, ob sie mit uns kämpfen, und sie werden einen Betrieb in ihrem Rücken wissen, der ihre kühnsten Träume wahr werden läßt.
Der Laufsteg ist unsere Welt, mit Nadel und Faden kämpfen wir auf dem Schlachfeldes des Weltmarktes, unser Ziel ist der Sieg der Vernunft und unserer
politischen Überzeugung, die ihren schönsten Ausdruck findet in- DER MODE! Der Mode aus Berlin!
Frau Claus:
Tu´s nicht.
No 2 Kuckuck, Emma, Marguerita und die Girls: "Die Mode aus Berlin"
Die Mode, die Mode, ist zuhaus in unserer Stadt,
die Mode, die Mode, zeigt noch längst nicht, was sie hat!
Alle Frauen wünschen sich eines so sehr
die Mode, die Mode mit dem ganz gewissen Pfiff
die Mode, die Mode, mit viel Charme und einem Kniff,
Und sie schau´n ,wo was besonders wär...?
Alle wolln was schickes anzuziehn
wer ist auf dem Kien
und bringt euch die Mode, die Mode von Berlin?
Emma:
Der VEB Berliner Schick
für Arbeit und Privates
wir sparen nicht an Selbstkritik
im Sinne unsers Staates.
Marghueritta:
Das Personal ist attraktiv
die Stoffe, und die Kleider
und bloß das Firmenkollektiv
kommt oft nicht aus dem Schneider.
Kuckuck:
So tragbar und so pflegeleicht
und kaum noch zu zerdrücken
Alle drei:
nach unser Mode muß man sich
sogar schon manchmal bücken!
Alle:
Die Mode, die Mode, ist zuhaus in unserer Stadt,
die Mode, die Mode, zeigt noch längst nicht, was sie hat....etc.
2. Szene: Kuckucks Vorzimmer. Zwei Telefone. Marghueritta telefoniert
Marghueritta:
..-liner Schick, Kulicke! Ach, du bists, Mäuschen!
Na ja, bloß Ärjer mit die Männer. Wat war denn nu mit jestern Abend?
(Der andere Apparat klingelt) Keen Schimmer! Ick kann mir den Alten schließlich nicht aus den Rippen schneiden! (legt auf) Tschuldigung, Mäuschen, is ja nich mehr feierlich..na ja.. der ganze Betrieb auf meinen schwachen Schultern. Also- zuerst warn wir in der Milchbar und denn im Kintopp..
Ja, natürlich drüben! Babyjahre einer Kaiserin. Mit Romy auf´m Töppchen! (der zweite Apparat klingelt wieder) Ick weeset nich! Erfüllt irjendwo sein Plansoll- doch, das tut er immer! Bin ick der Wachschutz vom Chef, oder was? (legt wieder auf) Wie es mir geht? Frag nicht, frag nicht! ..gut, das de fragst!
Die sind ja alle mitm Klammerbeutel gepudert wegen der Messe, sag ich dir.
Rache für Verdun. Morjen fliegt der Chef nach Paris, sich inspirieren lassen-
(lacht hemmungslos)
ne, nicht, was du denkst! Nach der Messe is Paris Provinz gejen unseret jutes Leipzig jloobt der Kuckuck jedenfalls. (der zweite Apparat klingelt wieder) Und wenn se das ZK persönlich sind, ich weeset nicht! (sie legt auf) Und denn, nach´m Kino?
Gittas Tanzpalast! Es jibt noch Kaffaliere! Eddie heißt er! Klingt doch gleich nach wat anders als so´n simplet Heinz!..Ne, ick orientier mir jetzt um, strikt nach Siebenjahresplan, nach wat höheret. Der Meister hat ja eh keine Zeit mehr for die Liebe, bei all seinen Funktionen. FDJ- Sekretär, GST- Kassierer, Kulturfunktionär,Sport-Organisierer, Unfall-Inspektor-
Emma kommt mit einem Stapel Akten und legt sie Marghueritta aufd den Tisch.
Emma:
Fundsachenverwalter!
Marghueritta:
Fundsachenverwalter,Clubraum-Direktor, Heimatabend-Gestalter, Schachzirkelleiter, Brandschutzrefferent, Rundschreibenverbreiter, Chordirigent, Konsum und Kantinenbeirat, Gütekontrolleur-
Heinz tritt auf
Marghueritta:
Wie, Herr Minister? Ja, eben, wie mit Herrn Staatssekretär abgesprochen!
Ich ruf zurück. (sie legt auf)
Heinz:
Fräulein Kulicke-
Margueritta:
Hm?
Heinz:
Privatgespräche während der Hauptgeschäftszeit blockieren wichtige Leitungskapazitäten-
Marghueritta:
Det war een Minister.
Heinz:
-und hindern unmittelbar die so wichtige Entwicklung der Volkswirtschaft.
Maghueritta:
Der Minister!
Heinz:
Keine Privatgespräche während der Spitzenzeiten!
Marghueritta:
Seit de Lesen gelernt hast, biste aber ein echter Schundnickel geworden, Heinz Sputnik.
Heinz:
Stubnick. Heinz Stubnick!
Marghueritta:
Bist halt so´ne Rakete!
Heinz:
Was heißt überhaupt "Lesen gelernt" ?
Marghueritta:
Verzeihung, ick wollte dir nicht beleidigen. Denn haste das Parteibuch eben auswendig gelernt.
Heinz: hält Marghueritta ein paar Kleidungsstücke hin
Hier.
Marghueritta:
Was soll ick damit? Det zieh ich sowieso nicht an, was wir hier produzieren.
Heinz:
Ausschuß. Da hinten stehn noch zwölf Kisten. Da sollten Reißverschlüsse rein und keine Knopflöcher. Muß zurück in die Werkstätten.
Marghueritta:
Nur weil deine Partei mal wieder vergessen hat, Knöppe zu produzieren, kriegen wir jetzt Seidenblusen mit Zipverschluß. Todschick.
Das bring deine Mädels mal schön selber.
Heinz:reicht ihr zwei Karten
Und das hier.
Marghueritta:
Wat ist det? Lebensmittelkarten gibts doch schon seit zwei Jahren nicht mehr, oder wat? sieht die Karten an. Orijinal Neger-Jazz! Heinzi, du bist doch ein Schatz!
Heinz:
Siehste, Gretchen- wie ist es heute Abend?
Marghueritta:
For dir Marghueritta! Fräulein Marghueritta Kullicke!
Heinz:
Du..Gretchen... Marghueritta... Gritti-
Marghueritta:
Hm?
Heinz:
Kannst du dir nicht vorstellen, daß wir beide- und so... Wir wollten doch auf das Faltboot sparen! Oder ne JAWA!
Und jetzt-
Marghueritta:
Heinzi, es tut mir leid! Ick habe mir umorientiert!