Leseprobe PERLEN VOR DIE SÄUE
eine erotische Offenbachiade
von Peter Lund ©
Schlafzimmer der Hortense Schneider. Aus dem Off die Barcarole aus "Hoffmanns Erzählung", die sich langsam zu alptraumhafter Lautstärke steigert. Hortense liegt im Bett und schläft. Alpträume. Das Stück endet im Applaus. Hortens schreckt hoch.
Merde.lauter werdend Merde.
Merde, merde, merde, merdem, MERDE!
auf französisch; Diese Arschlöcher. Perlen vor die Säue. Provinztouristen ohne Stil und ohne Geschmack. Das nächste mal werde ich mich mit dem Rücken an die Rampe stellen und meine Arien furzen und sie werden den Unterschied nicht einmal merken.tut es: Pfrrr,pfrrr,pfrrrpft! Dann werden sie klatschen. Ich kenne sie. Das ist eine Sensation. La Schneider chante avec le cuel.
sie dreht sich um und bemerkt das ratlose Publikum:
Cuel. Arsch. Der Arsch. Mit dem werde ich singen. Ich verschließe meine Kehle und Paris wird um mich weinen. Bastarde. Kulturlose Ratten. Sie werden den Verlust nicht merken.
sie werden meinen Arsch genauso vergöttern wie meinen Mund. Sie haben keine Ahnung und sie fressen, was ich ihnen vorsetze. Also werden sie auch meinen Arsch fressen.
Wieviele Vorhänge hate ich heute? Hä? Vingtsept! Seit diese bornierten Touristen in der Stadt sind, ist nichts mehr so vie vorher. Keine Lebensart. Les Parisiens- aaah! Das ist etwas anderes. Wenn die einmal angefangen haben zu klatschen, hören sie nicht mehr auf.
Aber die Provinz? Fressen. Halb elf ist die Vorstellung zuende, und um elf wollen sie FRESSEN. Sollen sie vorher bestellen. Oder garnicht.
Zu fett sind sie alle. Kein Wunder, sie passen nicht auf unsere Stühle
No 1: In Paris, da treffen sich die Leute
In Paris, da treffen sich die Leute,
in Paris sieht sich die schöne Welt
in Paris macht jeder seine Beute
in Paris spricht jeder nur vom Geld
Paris ist au moment die Stadt
wo jeder sein Vergnügen hat
für jeden Gusto einerlei
ist in Paris etwas dabei
ob mit Geschmack und für Kultur
ob für die Liebe oder nur
für eine schnelle Nacht, egal
Paris bedient sie allemal;
So wird zur Zeit das Frankenland
touristisch einfach überrannt
aus jeder Ecke dieser Welt
kommt jeder, der was auf sich hält
ob arm, ob alt, ob reich, ob still,
darf jeder der sein, der er will
und ob er das ist, was er sagt
wird in Paris niemals gefragt
und vom Proleten bis zum Zar
trifft man sie auf dem Boulevard.Jaaa...
Paris ist einfach eine Stadt
die sich der Mensch erfunden hat
wo er, wenn er mal traurig ist
des Lebens Kummer schnell vergißt
Paris ist eine Lotterie
der Einsatz ist die Phantasie
und der Gewinn ist süß
denn man gewinnt Paris!
Hurra, Hurra, Hurra,
Seid ihr auch alle da?
willkommen hier in meiner Stadt-
Hurra, hurra, hurra,
Ich sage nur: Bonsoir-
in dieser Stadt ,die alles hat-
Greift zu, Paris verschenkt sich schnell
und zwischen Louvre und Bordell
bleibt nicht viel Zeit für Müßiggang,
der Tag ist kurz, die Nacht ist lang
Paris lohnt jede Anfahrtszeit und jeden Kilometer
Paris ist unbezahlbar und die Rechnung kriegt ihr später
Paris ist was ihr wollt, wer Paris nicht will, will sterben
Paris ist pures Gold, ja das schwör ich Euch-
Es fehlt mir der Vergleich; Kommt her, ich zeig es euch
zu mir, kommt alle her zu mir!
Diese Weltausstellung ist mein Untergang. Und dann noch Paris im Sommer. Jeder, der auch nur ein bißchen Sinn für Lebensart hat, fährt im August an die Küste. Und die Dummern bleiben in der Stadt. Allen voran die Schneider. Und Warum?
Um sich mit einem Haufen bornierter Kulturbanausen in einem Raum einzuschließen, draußen scheint die Sonne und drinnen sind es vierzig Grad, die Luft ist zum schneiden und ich schwitze wie ein Schwein, und das ist dann erotisch.
Siebenundachzig mal die Großherzogin von Gerolstein. Jeden Abend, und zweimal die Woche nachmittags. Neundreißig gekrönte Häupter. In zwei Monaten. In dieser Garderobe. Ich bin der zweite Wiener Kongress auf neun Quadratmeter. Und alle Lieben mich.
Das Lächeln, daß 'ja' sagt und Nichts verspricht, daß 'nein' sagt und doch Hoffen läßt.
Wirklich nett gesagt.
Aubèr ist jetzt vierundachtzig, und jeden Abend müssen sie ihn aus seiner Loge tragen.
Aber er kommt. Was hat der Mensch für schöne Musik geschrieben, aber er sagt, das einzige, was er im Leben bedauert, ist, daß ich sie nicht singe. Meine Stimme sei für ihn ein Gruß aus anderen Welten. Mit vierundachtzig. Nun ja.
Singen. Mon dieu. Ich habe nie behauptet, daß ich singe. Ich interpretiere.
Diven dürfen gar nicht singen. Singen ist Sport und Diven treiben keinen Sport. Wir sind fleischgewordene Phantasie unserer Bewunderer. Meine Leistung besteht darin, genauso zu sein, wie die Leute mich haben wollen.
Nicht, daß das keine Arbeit wäre. Aber es verlangt doch wesentlich mehr als ein paar hohe Töne richtig zu treffen. Sensiblität. Gefühl. Wahrheit. Innere Schönheit. Und Taktik.
Sie sind Schauspielerin? Und was machen sie tagsüber? Da kann ich ja nur lachen: Tagsüber mache ich die eigentliche Arbeit. Bühne ist Erholung.
Allein die Logistik einer Künstlergarderobe- das ist hohe Diplomatie: Der belgische König mag keinen französischen Champagner, der alte Zar will Kaviar, der junge Zar auf keinen Fall, der englische Thronfolger mag überhaupt niemanden außer sich selbst und wenn diese Herren zufälliger Weise einmal aufeinandertreffen, hängt der europäische Haussegen schief- und alles wegen mir.
Andersherum habe ich natürlich auch einen gewissen Einfluß: mittwoch und Freitagnachmittags empfange ich nur die Militäratachées, die mir die politischen Vorschläge für die nächste Woche unterbreiten. An der Krim haben wir sechs Wochen gesessen, bis wir sie so verteilt haben, daß jeder halbwegs zufrieden war. Und danach mußte ich mich mit dem russischen Außenminister drei Nächte rumquälen, damit er nicht das Gefühl hatte, zu kurz gekommen zu sein.
Schon sehr anstrengend, das alles.
Und die Bezahlung: miserabel! Hier mal ein Armband, dort mal ein Diadem- in Ordnung. Aber für den halben Balkan hat mir Aga Khan gerade mal eine Schachtel Pralinen rübergeschickt, und das fand ich dann doch etwas popelig. Dafür hab ich ihn dann auch in der Rumänienfrage beschbst- er wird schon sehen, was er davon hat.
Die Herren glauben immer, man lebt von Luft und Liebe allein. Oder von den 2000 jämmerlichen Francs, die Jacques jeden Monat rüberschiebt. Wissen sie, was ein Einpersonenhaushalt in einer Großstadt heutzutage kostet? Und man muß ja auch an später denken. Ich glaube kaum, daß die Herren mir die Rente aus purer Nostalgie zahlen werden. Nein, JETZT ist meine Zeit.Paris im
Schneiderfieber. Das muß man ausnutzen!
No 2: Rondo der Metella
Paris liebt heiß
doch nichts dauert ewig-
und schnell ist vergessen
wer gestern noch schön
wohl dem, der da weiß
nun gut, heute leb ich,
es wäre vermessen
ins Morgen zu sehn-
Ich liebe das Leben mit seinem Finessen
ich liebe Paris und ich liebe das Licht
die zahlenden Herr'n, mit ihren Maitressen
das Volk auf der Straße, das fremde Gesicht-
Jaaa-
Wie das rauscht und wogt, sich aufreizt zur Freude,
mit knisternder Seide füllt sich der Saal-
das erste Adagio vom Bacchanale-
und dann das Finale- ein kleiner Skandal.
Trunkener Lärm, die Welt geht im Kreise-
ich spiele ein uraltes Spielchen mit dir-
verliebt singen wir dann die uralte Weise-
dazu klimpert schrill ein verstimmtes Klavier...
Der Lärm schwillt an, erhebt sich zum toben
von allem enthoben fühl ich mich so toll-
für heute genieß ich dich in vollen Zügen-
für heut das Vergnügen und morgen- was soll's-
Und kann ich nicht mehr
dann schweigen die Lieder
die Laune ist futsch
ich weiß gar nicht, wie-
man gähnt sich, man streckt sich
man schläft hin und wieder,
und jetzt steht es fest-
La féte est fini.
Am morgen dann blinzelt man trüb in die Sonne,
vorbei ist die Wonne und alles tut weh-
Statt nach Wein ruft man jetzt ganz banal nur;
Ihr Schurken, bringt schnell Essiggurken und dann einen Tee.."
Und schleicht man mit bleichem Gesicht und verlegen,
ernüchtert von Liebe und Wein dann hinaus,
ruft einem der Strassenkehrer entgegen;
"Voila- da gehen die Lumpen nach Haus!"
und dann, und dann, und dann ist das Märchen aus.
In den letzten sechs Monaten bin ich um Jahre gealtert.
Gott sei Dank haben mich diese Touristen nicht vorher gekannt:
Sie wissen also nicht, was ihnen entgeht. In meinem Gesicht tun sich Dinge, die sich im Gesicht einer dreiunddreißigjährigen normalerweise nicht tun dürften. sie guckt ins imaginäre Publikum
Danke. Das ist lieb gemeint. Aber sie müssen mich nicht trösten.sie legt sich auf den Rücken;
Na, so geht's ja noch- fällt alles nach hinten. beäugt sich im Spiegel Aber ich muß sagen-um die Auge- hm-hm....Das ist dann der Sprung in eine neue Dekade; Wenn man sich nach der Vorstellung nicht mehr traut, sich abzuschminken.
Abschied von der Bühne. Unvorstellbar. Und doch kommt einmal der Tag-
Ich werde ihm einfach sagen- Jacques, werde ich sagen, dräng mich nicht, jedes Ding hat seine Zeit, und ich habe die meine gehabt, und jetzt ist der Moment, abzutreten und es werden nach mir Jüngere kommen..
Nein, versuche nicht, mich zu überreden, du weißt, eine Frau, ein Wort, und ich habe immer gesagt, Jacques, habe ich gesagt, ich weiß, wann ich gehen muß und ich gehe jetzt.
Hortense, das kannst du mir nicht antun.
Jacques, wir haben nie Geheimnisse voreinander gehabt. Sieh mich an, und du weißt, das ich recht habe.
Dann denk zumindest an dein Publikum. Du bist es ihnen schuldig-
Das Publikum wird mich vergessen. Paris wird mich vergessen. Du w- (schluchzt auf)
Ich werde dich NIE vergessen.
Doch, das wirst du. Nichts ist so alt wie die Diva von gestern...
Ich habe dich immer geliebt!
Nicht, daß ich jemals etwas mit Offenbach gehabt hätte. Dabei bin ich für häßliche Männer sehr empfänglich.
Aber mit Jacques war es etwas anderes. Wir waren- verwandte Seelen. Mit verwandten Seelen hat man keine Freude in gewissen Situationen. In anderen schon. Auf der Bühne. Auf der Probe.
Incroyable! Jacques sah mich an, dann guckte er so komisch, rannte zu seinem kleinen Kaffeehaustischchen, das immer im Zuschauerraum stand, kritzelte etwas auf ein Stück Papier und ging an's Klaiver.
Probier das mal.eine Melodie erklingt
Die Nummer ist doch in Ordnung.
Du sollst es probieren. noch einmal die Melodie
Jacques, bitte. Wir haben in drei Tagen Premiere und ich habe kein Lust-
Nur einmal!
Nein!
Singen!
Ich kann nicht singen. Ich habe nie singen gekonnt.
Singen!
Ich kann mir das nicht merken. Nicht drei Tage vor der Premiere. Und wozu?
Meine Nummer gefällt mir. Ich will keine andere.
Aber die hier ist besser.
Wie das? Du hast sie in zwei Minuten geschrieben. Sie kann nicht gut sein!
Ich schreibe alles in zwei Minuten.
Vielschreiber. Schmierfink. Boulevardkomponist! Billige Effekthascherei!
Die Melodie erklingt wieder.
Völlig unsingbar. Kein Mensch wird es hören wollen. Geschweige denn, es sich merken.
Stille.Langsam beginnt Hortense, die Nummer zu summen.
Billig. Billig. Ein schlechtes Stück. Ich werde es nicht singen.
In zwei Minuten. Unglaublich. Wahscheinlich bin ich deshalb nie mit Offenbach in's Bett gegangen. Eine halbe Stunde Beischlaf- das wären fünfzehn unvergängliche Melodien gewesen, die ich der Welt hätte vorenthalten. Wer könnte mit so einer Schuld leben? Ich nicht.
Wobei Beischlaf fast jedes Opfer Wert ist. Aber, wie gesagt- nur fast.
Ach, wie liebe ich die Soldaten
Hortense endet laut singend, räuspert sich danach einige Male und faßt sich besorgt an die Kehle.
Das ging auch schon mal besser. Hups.
All diese hohen Töne. Schrecklich. Was ich in meinem Leben für hohe Töne gesungen habe- und so viele. Nicht, daß ich Noten lesen kann. Das hat man in unserem kleinen Dorf nicht gelernt.
Aber ich singe sehr oft Noten, die über den schwarzen Linien stehen, und das ist schon verdammt hoch.
Nein, ich werde nicht mehr singen. Gewöhn dich dran, Hortense, du wirst dich mit deinem Vermögen am Champs Elysee zur Ruhe setzen, dich fett fressen an Eclairs und Tarte de Zitron, und in drei Jahren werden die Leute sagen, das war die Schneider?
Verhängte Spiegel. Selbstgespräche. Kein Kontakt zur Außenwelt.
Ja, so machen wir Diven das. Oder Selbstmord mit Mitte dreißig. Ewig jung bleiben.
I want to be loved by you.
Aber das könnte euch so passen. Ich habe meine vierhunderttausend Francs doch nicht gespart, um dann mit Marmorengel auf dem Pere Lachaise rumzuliegen. Nein- die werden zu Zitronentörtchen gemacht. Und ich werde in biblischem Alter an Sahneverfettung sterben und die Pariser Bäckerinnung wird mir Ein Denkmal setzen. Und dann werden sie sagen- irgendwann hat sie ja wohl auch gesungen- oder zumindest so getan.
Vierhundert Tausend Francs. Wissen sie, wieviel Geld das ist? Schweineviel Geld ist das. Ich bin eine der reichsten Frauen von Paris. Ich! Und gerade gestern war der olle Herzog von Baden mal wieder da und hat mir eine Rubinkette dagelassen von seiner Schwiegermutter, die habe ich noch gar nicht schätzen lassen, aber die ist mindestens zwanzigtausend wert.
Jacques sagt immer, ich bin materialistisch. Blödsinn. Ich bin katholisch. Und habe eben einen ausgeprägten Sinn für Familienschmuck. Aber ich hätte zum Beispiel nie eine Kette seiner Frau genommen. Nie.
Ich bin ein gläubiger Mensch. Und die heilige Franziska ist mein Schutzpatron. Ich bete jeden Tag zu ihr. Ja! Beten reinigt die Seele. Das finde ich sehr wichtig. Früher hatte ich den heiligen Stephan, aber ich habe bemerkt daß ein Mann mich doch nie bis in mein Innerstes begreift, und seit ich zu einer Frau bete, fühle ich mich viel mehr verstanden.
Materialistisch. Dieser Vorwurf trifft mich hart. Allein schon, daß ich Schmuck dem Bargeld vorziehe, spricht doch für mich. Bargeld finde ich ordinär. Münzen können ja ganz schön sein, aber dies langweiligen Banknoten. so etwas unsinnliches. Das einzig gute an Ihnen ist, daß man sich dafür was kaufen kann. Ich liebe kaufen. Kaufen ist sinnlich. Ich weiß ,wovon ich spreche.
Ich bin selber lange genug gekauft worden.
Auf dem Boulevard
nachts um halb zehn
gehen die Mädchen promenieren
Schön ist die Welt
warm ist die Nacht
woll'n sie nicht auch mal was risikieren?
Ein warmes Bett
für Zweimarkzehn
dann bin ich nett
du wirst schon sehn
Komm, ich zeig
dir mein Tier
gib mir deine Hand und dann geh'n wir zu mir
wo du mich
lieben kannst
hast du keine Lust oder hast du jetzt Angst?
Wasch dich und
mach mich nass
noch 'n Groschen mehr
und wir haben Spaß.
morgen um fünf
schmeiß ich dich raus
und keiner weint, wenn wir uns trennen
Sag mir Adieu
nimm deinen Hut
Wenn wir uns treffen tu ich dich nicht kennen.
wir machen es
ganz ohne Licht
nur eines noch;
ichz küsse nicht...
Komm ich zeig
dir mein Tier
gib mir deine Hand und dann geh'n wir zu mir
wo du mich
lieben kannst
hast du keine Lust oder hast du jetzt Angst?
Wasch dich und
mach mich nass
noch 'n Groschen mehr
und wir haben Spaß.
Les Hommes!
Was habe ich den Männern getan, daß ich so an ihnen hänge? Das habe ich
nie gewollt! Nie! Wie kann eine Frau allen Ernstes an einem Mann hängen? Was kan er ihr bieten, was sie nicht genauso gut alleine könnte?
Genau! Aber das kann doch nicht alles sein. Es gibt doch Höheres! Einen Sinn des Lebens. Und den kennen Männer wahrlich nicht.
Haben Sie schon mal einen Mann kennengelernt, der zu leben weiß? Ich nicht. Frauen wissen zu leben. Frauen genießen ihr Leben. Aber Männer? Verpassen es. Ständig. Und man ist nur damit beschäftig, es ihnen beizubringen, das Leben, Wahrscheinlich bleiben wir deshalb bei ihnen. Pädagogisches Verantwortungsbewußtsein. Sonst nichts.
Den Mann für's Leben lehne ich ab. Eine einengende Vorstellung, die der liebesfähigkeit einer Frau in keinster Weise gerecht wird. Männer können vielleicht mit einer einzigen Frau glücklich werden, sofern sie sie nur genug an ihre Mutter erinnert, aber eine normale Frau braucht mehr. Wenn sie bereit ist, dem Leben offen gegenüber zu treten, kann eine Frau alle vier wochen einen Mann lieben. Mit ganzer Seele.
Aber man muß es üben, üben, üben. Doch wenn man sich Mühe gibt, zeitigt ein solcher Ehrgeiz die schönsten Erfolge. Und im Vierwochenrhytmus sind Männer durchaus eine Bereicherung.
Sie gucken so ungläubig. Zweifeln an meinen Worten. Wann haben sie sich das letzte Mal verliebt. hä? Vor zwei Wochen? Letzte Woche? Vor drei Tagen? Gestern? Hä? Sehn sie?
Und warum nicht? Weil sie nicht üben! Alles muß man üben. Das Singen, das Theaterspielen, den Müßiggang- warum also nicht die Liebe?
Ich werde ihnen das jetzt mal kurz demonstrieren: Zuallererst brauchen sie einen Anlaß: Zum Beispiel, jemand schenkt ihnen Blumen. Ein ganz alltäglicher Vorfall, nichts spricht dafür, daß sie sich verlieben müßten. Und genau da setzt die Übung an:
sie nimmt einen Blumenstrauß Nelken.
Sind die für mich? Danke!
Ganz schlechter Anfang. Nelken. Ich hasse Nelken. Friedhofsgemüse. Wie kann man einer Frau Nelken schenken?
Rosen, meinetwegen- aber Nelken? An ihren Blumen sollst du sie erkennen. Nelkenmänner kommen nie zur Sache. Gutgemeint, aber total langweilig. Mit Rosen macht man jedenfalls nichts verkehrt. Und man kann davon ausgehen, daß man sich nichts wegholt. Blick in's Publikum:Ja! Ist ihnen das noch nie aufgefallen? Rosenschenker sind meistens sehh gepflegt. Wenn sie viele Rosen schenken. Einzelne Rosen zeugen von zu viel Gefühl. Da muß man aufpassen, die wird man ganz schlecht wieder los. Die Männer, meine ich.
Am liebsten sind mir Fresien. Eine so unschuldige Blume, aber wer Fresien schenkt, weiß was er will. Da kann man dan ja sagen oder nein sagen, und meistens ist das Ja nicht umsonst.
Oder Feuerlilien. Aber das sagt ja schon der Name. Veilchen sind das schlimmste. Entweder sie haben Probleme mit der Potenz oder sie sind unter vierzehn. Wem's gefällt. Mir nicht.
Aber wir wollen uns den Nelken nicht entmutigen lassen, sondern fahren in unsere Übung fort.
Zusätzlich zu diesem zugegebenermaßen unsinnlichen Gebinde imaginieren wir jetzt einen Brief.
Na, wo ist er denn? Ah-
Sie findet ihn
Den wir jetzt lesen werden;
Madame, dies Schreiben ist eine Bitte; Verlassen sie mich, verlassen sie meine Gedanken und mein Herz, erlauben sie mir, endlich wieder, den Schlaf der Gleichgültigkeit zu finden und geben sie meine Seele frei, ich bitte sie darum.
zu sich; Mon Dieu, wer schreibt denn so was? Gerome?...nie gehört-
liest weiter; Auch wenn sie mich nicht kennen-
Ahaa!
- haben sie mich unglücklich gemacht. -
Wie das, mein lieber Gerome?
- Seit diesem verhängnisvollen Tag, verfluchter 8. Mai, an dem ich sie das erste Mal sah, bin ich ein Gefangener meiner Gedanken; Was haben sie mir angetan? - Ich dachte, oft geliebt zu haben-
freudig ; jetzt kommts
Ich dachte, oft geliebt zu haben, doch jetzt, da ich sie sah, weiß ich,
LÜGE. Ich dachte, Liebe wär ein heit'res Ding, doch weiß ich es jetzt besser: LÜGE Ich dachte zu leben, doch: LÜGE!
Wahr sind nur Sie, Sie, SIE! Doch ich bin nichts für sie, und anders kann es
nicht sein. Darum flehe ich sie an, verlassen sie mich, geben Sie mir den
Abschied, und lassen sie mich in Frieden sterben. Für immer der Ihre;
Geromè Gabalain, Infanteriekommandant der 2. Garde
weint;Wie...wie..niedlich! Mein kleiner Gerome- wie du leidest, und alles für mich.Wie ich dich verstehe. Ist der Glaube an die Liebe nicht das einzig Große in unserem armseeligen Dasein? Doch du sollst nicht umsonst gelitten haben.
Wann liebte ich zuletzt einen Geromè? Kaum kann ich mich erinnern,
solang ist es her. Geromè, Geromè. Geromè.
Eine ganz wichtiger Schritt bei der Liebesübung ist die Verknüpfung mit einer früherern Begebenheit. Mystifizierung des Alltags. Ein Geruch, eine Lichtstimmung, ein Name.
Danach muß man mitunter länger suchen, aber mit etwas gutem Willen können sie in jede Situation so etwas wie Bestimmung hineinprojezieren:
Das waren grobe Hände, schwielig und rauh, braungebrannt von der heißen Sonne der Provence. Ein kräftiger Griff, und ich war erobert. Worte brauchte es nicht, wären wohl auch nicht möglich gewesen- dir fehlte das Wort, Geromè, und dennoch liebte ich dich. Deswegen liebte ich dich.
Nun zurück zur eigentlichen Übung:
Aber hier, dieser Geromè kennt die Schneide der Worte, und wie geschickt er sie führt.
Sonnenverbannte Hände und Poesie, beides vereint- sollte es möglich sein? Heilige Madonna, ich danke dir, das ist ein Zeichen.
Geromè! Nun liegst du in deiner Kaserne, verzeifelt fällt dein Blick an die Decke und deine Lippen formen nur einen Namen; Hortense, Hortense, Hortense!
Aber deine Hortense hört dich, erhört dich, antwortet dir! Geromè im Liebesschmerz:
Dem Manne kann geholfen werden!
Statt ihn mit dem Schwert meiner Ablehnung zu durchbohren, will ich ihn zum Ritter schlagen für diese Nacht. Auf das wir heftig unsere Klingen kreuzen!
Wo ist der Degen von Papa?