Leseprobe DAS WUNDER VON NEUKÖLLN
eine Sozialkomödie mit Musik
alle Rechte bei den Autoren ©
1. Szene (Ausschnitt)
K.D. vorm Fernseher. Fernsehgeräusche. Die Arbeitslosenzahlen. Bierdosen. Janine kommt mit Einkäufen, will in die Küche, überlegt es sich anders und setzt sich neben K-D auf 's Sofa.
Janine:
Und? Wie war's?
K-D:stiert auf den Bildschirm
Wie war was?
Janine:
Auf 'in Amt Franzi hat gesagt, die haben dreißig neue ABM's bewilligt?
K-D:
antwortet nicht.
Janine:knufft ihn
Ich hab dich was gefragt.
K-D:empört
Die zeigen da ne Scheiße in der Glotze-
Janine:
K-D!
K-D:
Du glaubst es echt nicht, was da für ne Scheisse geboten wird-
Janine:begreift
Du warst gar nicht da.
K-D:
Da sollte man sich echt mal beschweren-
Janine:wird wütend
Ich GLAUBS NICHT! Du warst 'überhaupt nicht da!
K-D:
Die servieren da eine Scheiße in der Glotze-
Janine:Nimmt die Fernbedienung und schaltet den Fernsehen aus (Johannes geht ab)
Was die da in der Glotze servieren ist ein Witz dagegen, was für 'ne Scheiße ich zu Hause serviert kriege. Warum bist du nicht dagewesen?
K-D:
Ich will ne richtige Stelle.
Janine:verzweifelt
Du warst seit ner Woche nicht mehr vor der Tür!
K-D:
Reg dich ab. Du hast doch Arbeit!
Janine:
Und wie weiter? Glaubst du, ich hab Lust, mich für ein Arschloch krummzulegen, das-
K-D:scharf
Ich lieg dir nicht auf der Tasche, O.K.?
Janine:
Nee, klar, du bist Supermann. Den haben sie auch gerade vor drei Wochen auf Hilfe runtergekürzt.
K-D:rastet aus
Oh Scheiße! Ich kann diese Quarktasche beim Amt echt nicht ertragen, und wenn die aufrufen Nummer 386 Herr Döberitz, wir ham' leider wieder nix für sie, das will ich nicht mehr hören. Verstehst du? Ich will das NIE wieder hören.
Janine: lenkt ein
Aber Franzi hat-
K-D:brüllt
Scheiß auf diese Esoterikschwester. Hat die das ausgependelt, oder was?
Janine:
Franzi-
K-D:
Vergiß es.
Janine:
Aber-
K-D:
Ich hau dir echt auf die Fresse.
Pause
Janine:
Ich bin schwanger.
K.D:
Scheiße.
Janine:mühsam
Ich bin nicht Scheiße, ich bin schwanger.
K-D:
Mach wech.
5. Szene (Ausschnitt)
Janine hat gedroht, sich umzubringen und liegt jetzt zum Ausnüchtern im Krankenhaus. Der Journalist Johannes erfährt von seiner Freundin Dorothea, daß Janines Kind behindert ist.
Johannes:
Ein Mongo! Au weia!
Dorothea:
Hör auf, ja?
Johannes:
Ich mein, so ohne Job und ihr arbeitsloser Freund läßt sie im Stich-...
und sie hat keine Freunde, die ihr helfen können, weil die selber genug Probleme haben.....
Dorothea:
Johannes-
Johannes:
- und ihre Mutter will nichts mit ihr zu tun haben und traut ihr das mit dem Kind sowieso nicht zu-
Dorothea:
Ich denk, du kennst das Mädchen nicht?
Johannes:
Aber so ist es doch bestimmt.
Dorothea:überlegt
Den besten Fall mal angenommen- Ja. Wahrscheinlich.
Johannes:
Ich werde ihr helfen.
Dorothea:
Reiß dich zusammen.
Johannes:
Jetzt wird nicht gleich wieder rational-
Dorothea:
Du kannst nicht jeden einzelnen Arbeitslosen persönlich retten.
Johannes:
Das sagst du. Deswegen arbeitest du ja auch bei der TAZ.
Dorothea:
Dafür bezahlen wir zweimal irn Jahr hundert Mark an die S.0.S.-Kinderdörfer und kaufen fußgemalte Postkarten. Mehr muß definitv nicht sein.
Johannes:
Aber-
Dorothea:
Wir haben nichts mit diesem Mädchen zu tun. Nichts!
Du weißt nicht einmal, woher sie deine Visitenkarte hat.
Johannes:
Vielleicht ist das ein Zeichen?
Dorothea:
Daß du dich nicht erinnerst, wo du sie angebaggert hast?
Johannes: ehrfürchtig
Ich fühle mich aufgefordert. Wir tun eh' viel zu wenig.
Dorothea:
WIR?
Johannes:
Ich. Ich als Journalist hab immerhin einige Möglichkeiten.
Dorothea:sehr zuckersüß
Du könntest eine Spendenkampagne in's Leben rufen.
Johannes: arglos
Genau.
Dorothea:
...
Johannes:
Hast du schon mal was von journalistischer Verantwortung gehört?
Dorothea:
Die besteht zu 95 % darin die Klappe zu halten.
Johannes:hat Feuer gefangen.
Aber ich, ich hab ja zumindest eine eigene Sendung!
Dorothea:
Oh, mein Gott.
Musikeinsatz
Johannes:
Ich stelle mir die ganze Sache so vor: Erst eine kleine Anmoderation, eher so auf zufällig gemacht-vielleicht wirklich etwas Improvisertes- guckt auf das Bett Glaubst du, wir kriegen das Bett in's Studio? Ob die uns das ausleihen?
Dorothea:
Johannes,bitte-
Johannes:
Egal, notfalls haben wir so was auch im Fundus; Und Dann:Fanfare- Guten Abend meine Damen und Herren zur vierten Ausgabe von "Kante"... Fanfara JA!
7. Szene
Während sich die Bühne in ein Fernsehstudio verwandelt, in dem Johannes an verschiedenen Spielorten Janines Umfeld pantomimisch dem Saalpublikum erzählt, kommentiert Dorothea:
No 8 Dorothea "Jesus, Heinrich Böll und Du"
Dorothea:
Jesus, Heinrich Böll und du
denken, diese Welt braucht Hilfe
Böll und Jesus trau ich zu
daß sie das fast ehrlich meinen
aber du?
Jesus, Heinrich Böll und ich
haben ziemlich viel gesehen
Und wir, muß ich dir gestehen
halten nicht so viel vom Weinen
stimmt doch, Heinrich-
Johannes:
-jetzt frage ich sie? Kann es soviel Unglück auf einmal geben?
Sicher, es gibt viele Arbeitslose, es gibt viele Janines, es gibt viele behinderte
Kinder. Aber zwingt uns die große Zahl unglücklicher Menschen wirklich, vor dem
Einzelschicksal die Augen zu schließen?
Dorothea
Jesus, Heinrich Böll und ich
wir sind alle zu sensibel
Jesus schrieb deshalb die Bibel
Böll die Bluhm, doch ich bin weiter-
ich hab einen Therapeut
Bei DEM wein ich-
heimlich....
Dorothea gießt sich einen Whisky ein und knallt sich vor den Fernseher.
Im selben Augenblick kommt Johannes Stimme aus dem Gerät, Johannes synchronisiert pantomimisch:
Johannes: aus dem Fernseher
Es gibt das traurige Wort von dem Sack Reis, der in China umfällt. Aber DIESER Sack Reis fällt hier um, hier in Berlin um, hier in Neukölln. Und SIE können helfen ihn wieder aufzurichten-
Das Ensemble ist während der Sendung auf die Bühne gekommen, jeder vor seinem Fernseher. Johannes Stimme leicht asynchron geschaltet:
Dorothea:
Du bist weder BöII noch Jesus
wenn du redest, wird nichts heil .
Böll war besser,
Jesus schöner
aber du
bist telegener.
wenn du redest werd ich GEIL!!!
Johannes:
Und damit möchte ich mich für heute von Ihnen verabschieden.
Und vergessen sie nicht: Not hat ab heute einen Namen: Janine Majowski!
8. Szene (Ausschnitt)
Die Freundinnen Franzi und Biggi haben zum ersten Mal Janines Kind gesehen und dabei Johannes kennengelernt, der mit Janine einen Medienvertrag aushandeln will.
Franzi:
Fips hat dir ganz schön Glück gebracht.
Janine:
Na ja.
Franzi:
Echt! Aber wenn der nicht- ich meine, wenn der gesund wäre-
Janine:
Ist das wieder eine von deinen Theorien? Zum Thema Glücksbringer?
Mongos und Ferkel mit 'nem Pfennig im Hintern.
Biggi:
Vielleicht bringt der wirklich Glück. Weil er so dicht dran ist am Leben.
Franzi:
Der denkt nicht soviel.
Janine:
Mehr als du.
Biggi:
Aber glücklich sieht er aus.
Janine:
Der ist auch was Besonders. Was ganz Besonderes.
Franzi:
Kannst mir 'ne Locke von dem geben?
Janine:
Ne Locke?
Franzi:
Als Talismann. Für mein Vorstellungsgespräch. Dann glaub ich vielleicht daß es klappt.
Janine:
Du hast doch 'n Knall.
Franzi:
Irgendwas zum Glauben braucht ich. Sonst fall ich in Ohnmacht.
Janine:
Aber er hat schon so wenig Haare.
Franzi:
Oder'n Fingernagel?
Janine:
Franziska Rohrbach, du hast echt nicht alle Tassen im Schrank-
No 9 Franziska, Biggi, Janine nud Ensemble "Ein Ding am Tag"
Franziska:
Ein Ding am Tag brauch ich zum Glauben
Ein Ding, da halt ich mich dran fest
Ein Ding pro Tag, ist das zuviel verlangt
daß mich bis morgen glauben läßt-
Ein Ding am Tag brauch ich zum Hoffen
Daß mich die Hoffnung nicht verläßt
dann hab ich auch schon wieder Kraft getankt
und dann schaff ich auch den Rest.
Biggi:
Ein Ding am Tag brauch ich als Stütze
sonst brech ich irgendwann mal ab
ein Ding am Tag, ist das zuviel verlangt?
Weil ich sonst Angst vor Henning hab.
Janine:
Ein Ding am Tag brauch ich zum Lieben
ein Ding, das immer zu mir hält-
Alle:
Dann hab ich auch schon wieder Kraft getankt
und dann kann mich mal die Welt!
Das Ensemble kommt nach und nach auf die Bühne.
Edtih+ Robert+ Johannes:
Wir brauchen alle was zu glauben
der Mensch lebt nicht von Brot allein
Ein Ding am Tag, das etwas glücklich macht
denn jeder Mensch braucht Glücklichsein.
Irgendwann steigt Franziska aus und während alle weiterswingen, bewirbt sie sich bei einem Gast aus dem Publikum. Wortfetzen:
Franziska:über Musikvamp:
Arbeitszeiten sind mir echt egal... ich komm auch Sonntags...
Überstunden? Kein Problem... Ob ich mit 900 brutto zufrieden- aber ja doch! Hauptsache, ich lern was-
Währenddessen tritt Dorothea mit einem Handy telefonierend auf.
Dorothea:
Das kommt nicht auf die Erste Seite- NEIN - zu Johannes Schatz, ich telefoniere. in den Apparat Nur weil irgendso ein russisches Atomkraftwerk ausnahmsweise mal nicht in die Luft geflogen ist, ist das noch lange kein Wunder! RUHE, VERDAMMT NOCHMALI
Das Ensemble verstummt und guckt Dorothea erfürchtig an.
Dorothea:sanft in den Hörer
Das Wort Wunder würde ich dann doch etwas anders definieren
In dem Moment schreit Franziska los:
Franziska:
Ich hab sie! Ich hab sie! Oh mein Gott, ICH HAB SIE!
Alle:
Es ist ein Wunder!
Es ist ein Wunder!
Es ist ein Wunder-
DAS WUNDER VON NEUKÖLLN!
Ende des ersten Aktes