LESEPROBE 1. AKT 2. Szene
In der Kinderabteilung. Kassandra wickelt Maja in eine große gelbe Pampers
Kassandra:
So, Maja, hast du alles behalten, was ich dir beigebracht habe?
Maja:
Nein.
Kassandra:
Morgen hast du deinen ersten Ausflug! Wie willst du eine anständige Biene werden, wenn du nicht alle hundert Blumen und Blüten lernst, die den besten Honig haben? Und die hundert größten Gefahren, die einer Biene drohen?
Maja:
Das seh’ ich später doch selber.
Kassandra:
Kind, ich habe in diesem Frühling schon viele hundert junge Bienen unterrichtet, aber mir ist noch keine vorgekommen, die so eigensinnig gewesen ist wie du.
Maja:
Was ist eigensinnig? Ist das was Schlimmes?
Kassandra:
Für eine Biene: Ja!
Die erste Bienenregel besagt, daß eine gute Biene jederzeit dazu bereit ist, ihre persönlichen Bedürfnisse der Gemeinschaft aller Bienen unterzuordnen.
Maja:
Oh. Warum tut eine gute Biene das?
Kassandra:
Aus Liebe zu ihrem Staat.
Maja:
Aha. Was ist das?
Kassandra:
Ein Staat?
Maja:
Nee. Das andere. Die Liebe.
Kassandra:
Oh- die Liebe ist das größte und schönste Gefühl, zu dem wir Bienen fähig sind.
Nur die Liebe gibt uns die Kraft, unser Leben für die Gemeinschaft zu opfern
Maja:
Hört sich ziemlich anstrengend an.
Kassandra:
Das ist es auch. Aber weil wir Bienen nie nur an uns denken, sind wir auch etwas ganz Besonderes: Die Biene ist die Königin der Insekten!
Maja:
Ha! Dann können wir über alle bestimmen.
Kassandra:
Im Gegenteil! Bienen bestimmen nicht, Bienen gehorchen.
Maja:
Guck mal! Ich wachse!
Kassandra:
Hörst du mir zu, Maja?
Maja:
Und die anderen Tiere? Lieben die ihren Staat nicht?
Kassandra:
Die anderen Tier lieben nur sich selbst. Sie leben in den Tag hinein, denken nie an die Zukunft und tun nur das, wozu sie Lust haben.
Maja: interessiert
Echt?
Kassandra:
Und dafür müssen sie im Winter dann verhungern.
Maja:
Und nur wir Bienen denken an die Zukunft?
Kassandra:
Ein Tier soll angeblich in der Lage gewesen sein, wie wir Bienen an andere zu denken. Das war der Mensch.
Maja:
Was ist ein Mensch?
Kassandra:
Ich selbst habe nie einen zu Gesicht bekommen, aber ich habe gehört, daß er sehr klug und von großer Schönheit gewesen sein soll. Fast so schön wie wir Bienen
Maja:
So schön?
Kassandra:
Aber dann hat er vergessen, seinen Staat zu lieben, und deshalb sind wir Bienen jetzt die Krone der Schöpfung. So, und jetzt wird geschlafen. Morgen ist ein anstrengender Tag!
Kassandra macht das Licht aus und geht zur Tür.
Maja:
Kassandra?
Kassandra:
Was?
Maja:
Kann ich nicht etwas anderes lieben als meinen Staat?
LESEPROBE 1. Akt, 7. Szene
Stubenfliege Puck, Mistkäfer Kurt und Maja. Eine Mücke fällt mit viel Kawumm aus dem Schnürboden.
Mücke:
Aaaah! rappelt sich auf den Stamm. So ein Mist.
Puck:
Mann. Mücky! Merk' s dir ein für alle mal- du bist keine Zecke, o.k.? Du bist eine Mücke.
Mücke:
Wie machen diese blöden Viecher das?
Puck:
Zecken fallen auf ihre Opfer, Mücken fliegen. Das ist ein Unterschied, verstehst du?
Mücke:
Fallen ist aber echt bequemer, Alter.
Puck:
Aber dafür muß man zielen können.
Mücke:
Fliegen ist echt zuviel Streß Alter . Weißt du, was das für' n Krampf ist, so einem Menschen hinterher zu brummen?
Maja:
Oh, sie kennen die Menschen?
Mücke:
Klar kenn ich die.
Maja: zu Kurt
Sie kennt den Menschen!
Puck:
Was ist so besonderes daran? Jeder kennt den Menschen.
Maja:
Ich leider nicht. Aber ich habe schon so viel über ihn gehört und wäre sehr begierig, mal einen zu treffen.
Mücki:
Treffen ist schwierig. Die halten nie still. Und sind echt unbegeistert, wenn man sie anbohrt.
Maja:
Wie anbohrt?
Mücke:
Irgend wovon muß man ja leben.
Maja:
Wovon leben sie denn, meine Liebe?
Mücke:
Na- Blut.
Maja:
Blut?
Puck:
Blut.
Maja: fassungslos
Sie meinen, sie bohren den Menschen an und trinken sein Blut?
Ohne ihn zu fragen?
Mücke:
Es gibt so ein paar Sachen, da fragt man besser nicht um Erlaubnis, o.k.?
Maja:
Wie niedrig! Wie unwürdig. Sie sind ja, ein Parasit! Ein Schmarotzer unserer Gesellschaft-
Mücke:
Jetzt mach mal halblang. Ich lieg keinem auf der Tasche, o.k.?
Maja:
Sie leben von dem Blut anderer Tiere!
Mücke:
Glaubst du, nur weil du Vegetarier bist, bist du ein besserer Mensch, oder was?
Puck:
Immer mit der Ruhe, Mädels. zu Maja Also, wenn du jemanden suchst, der über die Menschen bescheid weiß, bist du bei mir genau richtig, Baby! Ich sitze täglich drauf!
Maja:
Nein! Sie sind mit einem Menschen befreundet?
Kurt: eifersüchtig
Eine etwas einseitige Freundschaft, soweit ich informiert bin.
Puck:
Hey, Mistkäfer- darf man sich mit dieser jungen Dame mal kurz unterhalten, ohne daß du ne Kugel rollst? Also-
Flip:
Glaub ihm kein Wort. Keine Ahnung hat der Kerl. Stubenfliegen lügen, sobald sie den Mund aufmachen!
Maja:
Flip! Wie schön- faßt sich Ich meine; Sieht man Sie auch mal wieder?
Puck:
Ach nee. Hätte mich ja auch gewundert, wenn ich auf dieser Wiese mal ne Biene treffen würde, über die du noch nicht rübergehüpft wärst.
Maja:
Sie sind einfach unmöglich.
Kurt:
Hören Sie einfach nicht hin, Fräulein Maja.
Maja:
Danke Kurt.
Flip:
Gib dir keine Mühe. Du hörst doch; das Fräulein hat einen Sinn für das Höhere. Die ist keine von Deinen Eintagsfliegen.
Puck:
Nur kein Neid! Es kommt eben nicht darauf an, wie hoch man hüpft, sondern wie lange man in der Luft bleibt.
Kurt:
Aber gar nicht! Auf die inneren Werte kommt es an!
Flip:
Deine inneren Werte kennen wir, du Rosenkavalier.
Maja:
Aber meine Herren! Was ist denn bloß in Sie gefahren? Bis jetzt haben wir uns doch alle so nett unterhalten.
Mücki:
Ist immer so, wenn ein Käfer solo hier rumkreuzt. Dann dreh’n unsere Brummer voll auf. Stimmt’s, Jungs?
Maja:
Wie „aufdrehen“?
Mücki:
Na, die fliegen auf dich. Love is in the Air.
Maja:
Aber das kann doch keine Liebe sein. Die Liebe ist ein großes, edles Gefühl, daß uns dazu bringt, über uns selbst hinauszuwachsen.
Mücki:
Ihr Bienen seid echt nicht ganz dicht.
Maja wendet sich offiziell an die Männerrunde.
Maja:
Meine Herren, sollte ihre Wertschätzung meiner Person der Anlaß für Ihren Streit sein, so kann ich Sie getrost beruhigen; Nach den Erfahrungen meines ersten Tages auf der Wiese glaube ich nicht, daß ich mit einen fremden Insekt eine näher Beziehung eingehen könnte.
Puck:
Hä?
Flip:
Du bist ihr zu peinlich, Fliege.
Mücki:
Du aber auch, Flipper.
Maja:
Ich möchte wirklich niemanden beleidigen, aber bei aller Sympathie sind mir die Tiere die ich heute kennenlernen durfte, doch eine Spur zu sprunghaft, eigensüchtig oder unaufrichtig.
Mücki:
Habt ihr’s gehört?
Puck:
Mit der Einstellung werden das aber einsame Sommernächte, Baby.
Maja:
Das mag sein. Aber wir Bienen denken eben von Natur aus über den Sommer hinaus. Und auf lange Sicht scheint es nur ein Tier zu geben, daß meine Lebenseinstellung teilt. Und das ist der Mensch.
Flip:
Der Mensch? Der Mensch ist das dümmste Geschöpf unter der Sonne.
Puck:
Hast du schon mal mit einem Menschen auf seiner Stirn eine dreiviertel Stunde Fangen gespielt, Baby? Dann merkst du aber, was für eine Pfeife der Mensch ist.
Kurt:
Und körperlich uns Insekten weit unterlegen! Soweit ich informiert bin, kann er gerade mal das zweieinhalbfache seines Körpergewichtes tragen!
Flip:
Kein Panzer!
Kurt:
Keine Fühler!
Mücki:
Keinen Stachel-
Puck:
Keinen Rüssel-
Maja:
Klingt da vielleicht eine gewisse Eifersucht in Ihren Worten?
No 9 DER MENSCH